Ist der Sportler an Verbandsregeln gebunden?

Verbandsregeln sind alle allgemein gültigen Bestimmungen, die ein Verband erlassen und kraft seiner Verbandsgewalt durchsetzen kann; zu den Verbandsregeln gehören insbesondere die Satzung, die Spielregeln, Rechts- und Verfahrensordnungen, Spielordnungen u. a..
Problematisch ist, auf welche Weise die Verbandsregeln wie auch die Verbandsgewalt für die Vereine und vor allem für die Sportler rechtlich verbindlich werden.
Dieses Problem stellt sich, da ein Verband - anders als der Staat - weder die Befugnis hat, objektives, alle Personen in seinem fachlichen und örtlichen Bereich bindendes Recht einseitig zu erlassen, noch das Recht, es diesen Personen gegenüber auch durchzusetzen; vielmehr ist der Verband auf die rechtsgeschäftliche Zustimmung der Betreffenden angewiesen.
Eine rechtliche Bindung an die Verbandsregeln kann entweder vereinsrechtlich (unten 1) oder aufgrund eines Vertrages erreicht werden (unten 2). Bei vereinsrechtlicher Bindung beruht die Verbandsgewalt auf der Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG), bei vertraglicher Bindung auf der Vertragsautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG); ob sich daraus allerdings eine unterschiedliche rechtliche Bewertung ergibt, wie teilweise behauptet wird, erscheint zweifelhaft, da sowohl die Vereins- als auch die Vertragsautonomie auf dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, auf der Privatautonomie beruhen (unten 3). In beiden Fällen tritt eine Bindung nur ein, wenn der Gebundene rechtsgeschäftlich bindend zugestimmt hat, also eine dahingehende Willenserklärung abgegeben hat.
1 a) An die Verbandsgewalt vereinsrechtlich gebunden sind zunächst einmal die unmittelbaren Mitglieder des Verbandes, bei den Dachverbänden i.d.R. nur die unteren Verbände, bei diesen nur die Sportvereine. Die Sportler, in besonderer Weise Adressaten der Verbandsregeln, sind in aller Regel nicht unmittelbare Mitglieder, können aber aufgrund einer "Doppelverankerung" in den Verbands- und Vereinssatzungen die mittelbare Mitgliedschaft erworben haben und damit an die Verbandsregeln gebunden und der Verbandsgewalt unterworfen sein.
b) Die Bindung eines Vereinsmitgliedes (Sportlers) an die Verbandsregeln kann auch allein durch eine entsprechende Bestimmung in der Vereinssatzung bewirkt werden; allerdings hat dann nur der Verein gegenüber seinem Mitglied einen Anspruch auf Einhaltung der Verbandsregeln und kann sie gegebenenfalls mit seiner Vereinsgewalt durchsetzen. Das Vereinsmitglied ist der Verbandsgewalt unmittelbar nicht unterworfen. Dies könnte nur dann erreicht werden, wenn die entsprechende Satzungsbestimmung des Vereins als Satzung zu Gunsten Dritter (des Verbandes) angesehen werden kann; die rechtliche Zulässigkeit einer Satzung zu Gunsten Dritter analog § 328 BGB ist in der Rechtslehre umstritten, dürfte aber zu bejahen sein, da § 328 BGB Ausfluß der Privatautonomie ist, die auch das Satzungsrecht beherrscht.
c) Mitunter verpflichtet ein Dachverband in seiner Satzung seine Mitglieder (z.B. Regionalverbände), in ihrer Satzung jeweils das Regelwerk des Dachverbandes für ihre Mitglieder (Sportvereine) für verbindlich zu erklären und weiterhin die Sportvereine zu verpflichten, in der Vereinssatzung eine entsprechende Bestimmung aufzunehmen. Geschieht das durchgängig, so ist jedes Vereinsmitglied an das Verbandsrecht gebunden, allerdings wiederum nur seinem Verein gegenüber. Fehlt allerdings eine entsprechende Klausel in der Satzung des Vereins, so sind dessen Mitglieder nicht an das Verbandsrecht gebunden; die Verpflichtung durch die Verbandssatzung allein hat für die Vereinsmitglieder keine rechtliche Wirkung.
Die Anerkennung der Verbandsregeln in einer Vereinssatzung führt indes bei Mehrspartenvereinen zu Schwierigkeiten; sinnvoll ist daher eine Beschränkung dahingehend, daß nur die Mitglieder einer bestimmten Sportabteilung an die Regeln des zuständigen Verbandes gebunden sind.
2. Im übrigen kann sich ein Vereinsmitglied oder überhaupt jeder Dritte an die Verbandsregeln und an die Verbandsgewalt durch Vertrag mit dem Verband binden. Beispiele für eine vertragliche Bindung sind die Erteilung einer Lizenz oder Spielerlaubnis durch den Verband an einen Sportler, die Benutzung einer vom Verband zur Verfügung gestellten Einrichtungdurch den Sportler, die Nominierung eines Sportlers für Meisterschaften oder sonstige Wettkämpfe, die Aufnahme in einen Kader durch den Verband. In allen diesen Fällen ist Voraussetzung, daß sowohl der Verband als auch der betreffende Sportler zumindest konkludent entsprechende rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben. Vom Inhalt des Vertrages hängt es dann ab, in welchem Umfang sich der Sportler den Verbandsregeln und der Verbandsgewalt "unterworfen" hat.
3. Zweifelhaft und umstritten ist, ob die Verbandsregeln rechtlich unterschiedlich zu behandeln sind, je nach dem, ob sie vereinsrechtlich (dann als korporationsrechtliche Bestimmungen) oder vertragsrechtlich (dann als Vertragsbedingungen) bindend geworden sind. Vereinsrechtliche Regeln sind objektiv auszulegen, Vertragsbedingungen hingegen nach dem Empfängerhorizont, hier des Sportlers, was durchaus zu unterschiedlichem Ergebnis führen kann. Vor allem könnte bei Qualifizierung als Vertragsbedingungen die Anwendung des AGBGesetzes naheliegen, würde aber zu unsinnigen Ergebnissen führen (etwa Unklarheitenregel des § 5 AGBGesetz, mit der möglichen Folge, daß eine bestimmte Regel einem Spieler gegenüber unwirksam ist).
Es erscheint demgegenüber nicht gerechtfertigt und sinnvoll, die Verbandsregeln und die Ausübung der Verbandsgewalt rechtlich unterschiedlich zu bewerten, je nach dem, ob sie vereinsrechtlich oder vertragsrechtlich anerkannt wurden, zumal da häufig beim gleichen Wettbewerb vereins- und vertragsrechtlich gebundene Sportler teilnehmen. Das- theoretisch zutreffende - Argument, vereinsrechtlich Gebundene könnten als Mitglieder die Ausgestaltung der Verbandsregeln und die Ausübung der Verbandsgewalt beeinflussen, was den vertraglich Gebundenen nicht möglich sei, übersieht völlig die Bedeutung der Einheitlichkeit der Verbandsregeln für den Sport (Spielregeln) und vor allem die Verbandswirklichkeit: die Sportler haben faktisch keine Mitwirkungsmöglichkeit beim Erlaß der Verbandsregeln.
Statt nach dem Grund der Bindung zu differenzieren, sollte nach dem Inhalt der Verbandsregeln unterschieden werden: Verbandsregeln, die sport-typisch für alle Beteiligten in gleicher Weise Geltung verlangen, also insbesondere die Spielregeln, sind als objektives Verbandsrecht anzusehen, auch wenn sie von den Sportlern aufgrund eines Vertrages anerkannt worden sind: sie sind objektiv auszulegen, das AGBGesetz ist auf sie grundsätzlich nicht anzuwenden.
Soweit Verbandsregeln Leistungsbeziehungen zwischen Verband einerseits und Verein oder Sportler andererseits regeln (etwa Geldzahlungen oder individuelle Förderpflichten, Teilnahmepflichten des Sportlers, Haftungsausschlußklauseln des Verbandes), sind sie rechtlich als Vertragsbedingungen anzusehen, und zwar auch, wenn sie vereinsrechtlich bindend geworden sind; erwägenswert ist in diesen Fällen insbesondere, die Grundsätze des AGBGesetzes und vertragliche Auslegungsregeln entsprehend anzuwenden.
Insgesamt herrschen zu dieser Problematik aber noch erhebliche Unklarheiten.
Von mittelbarer Verbandsmitgliedschaft wird gesprochen, wenn die Mitgliedschaft in einem Verband nicht unmittelbar durch Beitritt in diesen Verband sondern durch Beitritt in einen verbandsangehörigen Verein erworben wird. Rechtlich geht es dabei um das Problem, inwieweit das Mitglied eines Sportvereins an die Verbandsregeln gebunden und der Verbandsgewalt unterworfen ist. Beides hängt vom (rechtsgeschäftlichen) Willen der Betroffenen ab.
Der juristisch sehr ungenaue Begriff mittelbare Verbandsmitgliedschaft wird in der Literatur für verschiedene Fallgestaltungen verwendet; er sollte allenfalls auf folgende in der Praxis zu findende Regelung angewendet werden.
Sowohl in der Satzung eines verbandsangehörigen Vereins wie auch in der Satzung des Verbandes findet sich die Bestimmung, daß der Erwerb der Vereinsmitgliedschaft auch den Erwerb der Mitgliedschaft im Verband nach sich zieht ("Doppelverankerung"); jeder, der dem Verein beitritt, wird dadurch auch automatisch Mitglied des Verbandes und ist somit an die Verbandsregeln gebunden und der Verbandsgewalt unterworfen; der Ausdruck "mittelbare Verbandsmitgliedschaft" ist auch hier ungenau, da das Vereinsmitglied unmittelbares Verbandsmitglied wird; mittelbar ist nur der Vorgang des Erwerbs der Verbandsmitgliedschaft.
Eine solche Doppel-Mitgliedschaft ist beispielsweise vorgesehen in der Satzung des Deutschen Schachbundes (§ 4 Nr. 3) und des Bundes Deutscher Radfahrer (§ 6).
Derartige Satzungsbestimmungen der Verbände gehen allerdings ins Leere, wenn - wie in der Praxis nicht selten - die Vereinssatzungen keine entsprechenden Bestimmungen enthalten, also die Doppelverankerung lückenhaft ist.
Bei einer Doppelverankerung kann allenfalls problematisch sein, ob diese Regelung für einen Sportler, der nur einem Verein beitreten will, und sich plötzlich als Mitglied eines Verbandes sieht, als völlig überraschende Satzungsbestimmung unwirksam ist (vgl. Rechtsgedanken des § 3 AGBG). Bei Mehrspartenvereinen ist daher darauf zu achten, daß die Verbandsmitgliedschaft nur für die Sportler der betreffenden Abteilung vorgesehen ist.
Zu anderen rechtlichen Möglichkeiten, Vereinsmitglieder den Verbandsregeln und der Verbandsgewalt zu unterwerfen.

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